» 1970er Jahre
Franziskus (1976)
Eine Geige war die Stunde
Und dein Tod ein leiser Bogenstrich,
Brauner Mönch, des Heilands Seitenwunde
Senkt sich brennend über dich
Und umschließt dein Streben ohne Ende
Wie der Himmel alles Abendrot -
Bruder Franz, zu meinem Sterben sende
Mir den Duft von deinem Tod
RUTH SCHUHMANN
Christopherus, Studie in Chinatinte zum Meditationsbild für die Klinkskapelle Sonnerberg, Saarbrücken (05.11.1977)
Großes wird aus Geringem
Wenig wächst und wird viel
Für Schweres sorg'
Solange es leicht ist
Und für Großes
Solange es klein ist
Denn alles Schwere der Welt
Ward aus Leichtem
Und alles Große
Entsteht aus Geringem
Nie müht sich darum
Der Erfahrene um Großes
Und so vermag er Großes zu schaffen
Wer leicht verspricht
Hält selten Wort
Viel Schweres erduldet
Wer vieles zu Leicht nimmt
So hält der Erfahrene
Für schwer die Dinge
Und weil er nichts leicht nimmt
So fällt ihm nichts schwer
Lao Tse, Tao Te Kin
6. Jh. vor Christus
Hochzeitsreise, Raphael und Tobias (1978)
Reisesegen
Lieber Engel spiel mit mir
Überfahrt ins Blaue
Der Hochzeitsstadt Unendlichkeit
Der Wanderstab, ein Holderbaum,
Sei unser Sternzeltmast
Und Schaukelschiff der Mond.
Ein Fittich spann als Segel auf,
Der andere sei uns Ruder,
Wenn Stille kommt um Mitternacht.
Lass mich nicht durch meine Angst
Vor schwarzer Tiefe, großem Fisch,
Verschlungen und verloren sein.
Zum Schauen mich ins Klare bring,
Das mir an deiner Seite dann
Im Traum als Ankunft blüht.
Ernst Alt
Das Hohelied Salomos (05.06.1978)
Setze mich wie ein Siegel auf dein Hertz,
und wie ein Siegel auf deinen Arm:
dann die Lieb ist starck, wie der Todt,
und der Eyffer ist hart wie die Höll:
ihre Ampeln seynd feurige
und flammende Ampeln.
Viel Wasser haben die Lieb
nicht auslöschen können,
und die Ström werden sie nicht dämpffen:
wann der Mensch alles,
was er in seinem Hauß hat,
für die Lieb geben würde,
so wird ers doch für nichts achten.
Entnommen aus der
"Catholischen Straßburger Bibel" von 1734
Jakob und Rachel (04.08.1979)
Versöhnung
Es wird ein großer Stern
in meinen Schoß fallen ...
Wir wollen wachen die Nacht,
In den Sprachen beten,
Die wie Harfen geschnitten sind.
Wir wollen uns versöhnen die Nacht -
So viel Gott strömt über.
Kinder sind unsere Herzen,
Die möchten ruhen müdesüß.
Und unsere Lippen wollen sich küssen,
Was zagst du?
Grenzt nicht mein Herz an deins -
Immer färbt dein Blut meine Wagen rot.
Wir wollen uns versöhnen die Nacht,
Wenn wir uns herzen, sterben wir nicht.
Es wird ein großer Stern
in meinen Schloß fallen.
Else Lasker-Schüler
aus Hebräische Balladen
